Wie viel Grün und Blau enthält die EU-Wasserstoffstrategie?
Die EU-Kommission hat in Brüssel ihre europäische Wasserstoffstrategie vorgestellt. Das hochgesteckte Ziel: Bis zum Jahr 2050 soll die EU-Wasserstoffstrategie erfolgreich umgesetzt werden. Wasserstoff soll als ein Schlüsselelement der Energiewende dabei wesentliches Element der europäischen Energieversorgung werden und wird als eine riesige Chance für eine nachhaltige Industrie und Gesellschaft gesehen.
Die politische Zielsetzung der Klimaneutralität in Deutschland und der EU verlangt in den nächsten drei Jahrzehnten eine völlige Abkehr von fossilen Brenn- und Kraftstoffen. Da für die Auswirkungen auf den Klimawandel ebenfalls die Treibhausgasreduzierung von heute bis 2050 relevant ist, heißt dies, dass man frühzeitig alle Treibhausgasemissionen signifikant reduzieren muss.
Schneller Ersatz fossiler Brennstoffe nötig
Die fossilen Brenn- und Kraftstoffe müssen hierfür zum einen durch Maßnahmen der Energieeffizienz eingespart und zum anderen sehr weitgehend durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Da das Potenzial nachhaltiger Biomasse beschränkt ist und in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau steht und Atomkraft zumindest in Deutschland keine Option darstellt, kommen für die Substitution fossiler Brennstoffe überwiegend erneuerbarer Strom und darauf aufbauende Energieträger in Frage.
Soweit es technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, wird erneuerbarer Strom direkt in Wärmepumpen, Wärmenetzen oder für Prozesswärmeerzeugung in der Industrie genutzt. Es gibt aber eine Reihe von Anwendungen wie die Luft- oder Schifffahrt sowie in der Grundstoffchemie oder in Raffinerien, in denen dies aufgrund der notwendigen Energiedichten oder verfahrenstechnisch derzeit nicht möglich erscheint. Hier kommen grüner Wasserstoff oder daraus erstellte grüne Syntheseprodukte wie Methanol oder Methan ins Spiel. Daher wird der grüne Wasserstoff derzeit als weiterer wichtiger Bestandteil der Energiewende angesehen und rückt derzeit in den Mittelpunkt der deutschen und europäischen Klimapolitik.
Grüner Wasserstoff ist ein Schlüsselelement der Energiewende und das Öl von morgen
Im Prinzip können fossile Brennstoffe in Verbindung mit der Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund (Carbon Capture, Use oder Storage – CCUS) weiterhin auch bei Klimaneutralität eingesetzt werden. Dies wird besonders intensiv bei „blauem“ Wasserstoff diskutiert.
Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff (gewonnen aus fossilen Brennstoffen), der in Verbindung mit Carbon Capture Storage (CCS) hergestellt wird; das bei der Elektrolyse entstehende CO2 wird jedoch abgeschieden und gespeichert. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO2 gelangt so nicht in die Atmosphäre und kann bilanziell als CO2-neutral betrachtet werden.
Anders beim grünen Wasserstoff. Hier kommt bei der Elektrolyse von Wasser ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz. Unabhängig von der gewählten Elektrolysetechnologie erfolgt die Produktion von Wasserstoff CO2-frei, da der eingesetzte Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt.
„Die Zukunft gehört allein dem grünen Wasserstoff“, sagte die scheidende Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) in einem Interview mit dem Handelsblatt, das am 6. Februar 2020 erschien. Ihr Appell: „Bei der Nationalen Wasserstoffstrategie sollten wir grün, global und groß denken.“ Sie sieht in Zeiten des Klimawandels Wasserstoff als den Energieträger der Zukunft.
„Die Umstellung auf Wasserstoffwirtschaft ist vermutlich die einzige Möglichkeit, die großen energieintensiven Industrien, die viel CO2 ausstoßen, also etwa die Chemie- und Stahlbranche, im Land zu halten“, wird Anja Karliczek weiter zitiert. Denn mit den zunehmenden CO2-Preisen wird der Druck auf die Industrie immer größer, ihre Emissionen zu reduzieren. Mithilfe von Wasserstoff kann man das Kohlendioxid jedoch reduzieren bzw. substituieren und viel für die Klimawende tun.
Ehrgeizige Ziele bis 2030
Die EU will mithilfe ihrer Wasserstoffstrategie für 2030 Elektrolyseure mit einer Kapazität von 40.000 MW schaffen, die rund 10 Mio. Tonnen grünen Wasserstoff herstellen können. Hierfür sind 430 Mrd. Euro an Investitionen notwendig. Bis 2024 sollen bereits Elektrolyseure mit einer Gesamtleistung von mindestens 6.000 MW und einer Erzeugungsmenge von bis zu einer Mio. Tonnen Wasserstoff entstehen.
Bis 2030 sollen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten 176 Elektrolyse-Projekte Gestalt annehmen, Produktionskapazitäten in Gigawattgröße entstehen. Mit ihrer Wasserstoffstrategie will die Europäische Union in den kommenden drei Jahrzehnten mindestens 470 Milliarden Euro in die vorzugsweise erneuerbare Wasserstofferzeugung investieren, davon 340 Milliarden Euro in den Bau von PV- und Windkraftanlagen. Bis 2030 sollen in Europa Produktionskapazitäten mit einer Leistung von 80 Gigawatt für grünen Wasserstoff geschaffen werden. Die Ukraine könnte wichtiges Partnerland bei der Wasserstofferzeugung werden.
Dafür hat die EU die Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff (ECH2A) gegründet, der sich mehr als 1.460 Firmen, Organisationen und Ministerien angeschlossen haben. Die Mitglieder planen und realisieren Projekte, die einer Wasserstoff-Erzeugungskapazität von 8,97 Millionen Tonnen im Jahr 2030 entsprechen, davon 84 Prozent Elektrolyseure aus erneuerbarem Strom, 15 Prozent Methanisierungsanlagen sowie ein Prozent Anlagen zur Wasserstofferzeugung aus biogenen Stoffen. 239 Projekte sind Wasserstoff-Industrieanwendungen, 379 Projekte betreffen den Transport, 191 den Energie- und 89 den Gebäudesektor.
So soll nach Aussagen von Jorgo Chatzimarkakis, Generalsekretär des Fachverbandes Hydrogen Europe, im europäischen Projekt HyDeal solar erzeugter Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen per Pipelines von der Iberischen Halbinsel nach Spanien, Frankreich und Deutschland gebracht werden. In den EU-Ländern seien 176 Elektrolyseur-Projekte bis 2030 angekündigt, bis zum Jahr 2040 mehr als 230 Power-to-Hydrogen-Projekte mit einem Umfang von rund 136 GW. Ein wichtiges Partnerland der Europäer könnte die Ukraine werden. Dort sollen bis 2030 zehn Gigawatt Erzeugungskapazitäten für grünen Wasserstoff geschaffen und bestehende Gasfernleitungsnetze zum Transport nach Europa genutzt werden. So kann sich die Ukraine vom Gastransitland zum Produktionsstandort für grünes Gas und grünen Wasserstoff entwickeln.
Experten erwarten sinkende Produktionskosten
Knackpunkt bei der Produktion von grünem Wasserstoff sind bislang die Kosten, im vergangenen Jahr lagen sie bei 4,75 Euro für ein Kilogramm. Aber die Experten sind sich sicher: Je weniger Kosten die Elektrolyseure sowie die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windkraft verursachen und je mehr grüner Wasserstoff erzeugt wird, umso stärker sinken dessen Produktionskosten. Der Generalsekretär des Fachverbandes Hydrogen Europe Chatzimarkakis rechnet damit, dass die Kosten bestenfalls auf unter drei Euro pro Kilogramm im Jahr 2030 und auf deutlich unter zwei Euro pro Kilogramm im Jahr 2050 sinken. Entscheidend sei, den Markthochlauf von grünem Wasserstoff in den kommenden Jahren voranzubringen – über den Abbau von regulatorischen Hürden, mit finanziellen und anderen Anreizen – inklusive einer ambitionierten CO2-Bepreisung – sowie über einen massiven Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Nachfrage nach grünem Wasserstoff schaffen
Um die aktuell bestehenden Mehrkosten von insbesondere grünem Wasserstoff abzufedern und so einen raschen Markthochlauf zu unterstützen, hat die Bundesregierung unter anderem verschiedene Förderprogramme aufgesetzt oder erarbeitet diese derzeit. Als Beispiele nennt sie das im Januar 2021 gestartete Programm „Dekarbonisierung der Industrie“ und das Förderprogramm für Klimaschutzverträge nach dem Ansatz von „Carbon Contracts for Difference“, dessen Start für 2022 geplant ist. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist dabei die Stahlindustrie.
Die Nationale Wasserstoffstrategie muss deshalb in der kommenden Legislaturperiode von der neuen Bundesregierung zügig evaluiert und weiterentwickelt werden und bei den Zielen und der Zielerreichung ambitionierter werden. Denn eines steht fest: Nur der gezielte Ausbau aller Erneuerbaren Energien auf Basis verbindlicher Ausbauziele kann die Zukunft des Industriestandorts Deutschland sichern.
Quellen:
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/anja-karliczek-und-robert-schloegl-hinter-dem-wasserstoff-thema-verbirgt-sich-die-groesste-gelddruckmaschinerie/25507504.html
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/schluesseltechnologie-forschungsministerium-schiebt-wasserstoff-projekte-an-/26977042.html?ticket=ST-4089873-6r2GfSfMgmiA9OAMUcxI-ap2
https://spiremarketresearch.com/report/global-electrical-energy-storage-ees-market-394585
https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/eckpunktepapier_klimaschutzvertraege_ccfd_bf.pdf
Foto © Alexander Limbach, Adobe Stock
Weitere Beiträge
Flexible Biogasanlagen ausbauen und die Energieversorgung sichern
Damit Biogas-Kraftwerke bei Stromknappheit in naher Zukunft flexibel eingesetzt werden können, müssen Anlagen flexibilisiert werden. Um dies betriebswirtschaftlich stemmen zu können, sind staatliche Anreize für Anlagenbetreiber notwendig.
Bioenergie als wesentlicher Erfolgsfaktor der Zeitenwende
In der aktuellen Gaskrise kann Biogas einen entscheidenden Beitrag für die Energiesicherheit in Deutschland leisten. Um die Biogasproduktion auf das dafür erforderliche Level zu bringen, müssen jedoch so schnell wie möglich neue Anlagen gebaut und bestehende Kapazitäten erhöht werden.
Energieerzeugung à la „Wunsiedel“: Dezentral, autark und nachhaltig
Im Energiepark Wunsiedel werden aus erneuerbaren Energien Strom und Wärme für die Bewohner der Region produziert. Um den erzeugten Ökostrom zu speichern, wird in der Elektrolyse-Anlage des Parks grüner Wasserstoff hergestellt, der bei Bedarf verstromt wird, und so die Versorgungssicherheit garantiert.
Neueste Kommentare